Putin & Co. wollen Grenzen verändern und die liberale, demokratische Weltordnung zerstören

«Der russische Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar hat die Welt verändert.» Das sagte ein international anerkannter Sicherheitsexperte, der ehemalige Chef des militärischen Nachrichtendienstes der Schweiz, Divisionär aD Peter Regli, in einem Vortrag bei den Aargauer FDP-Seniorinnen und Senioren mit einem Publikums-Rekordbesuch.

Peter Regli, international anerkannter Sicherheitsexperte. (Foto: H.P.W.)

Von Mark Twain stammt der Satz: «Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich». Tatsächlich gibt es Parallelen zwischen der Vorbereitung und Auslösung des Zweiten Weltkriegs durch Hitler und der russischen Invasion in die Ukraine durch Putin. Allerdings bemühte sich Putin nicht einmal, seine Angriffsvorbereitungen zu verheimlichen.  Man konnte die russischen Truppenverschiebungen auf Satellitenbildern mitverfolgen. Der Westen glaubte an Manöver oder vermutete einen Bluff. Er täuschte sich. Aber auch Putin hat sich verrechnet. Er und seine Kopfnicker-Entourage im Kreml unterschätzten den Widerstand der ukrainischen Armee und Zivilgesellschaft sowie die rasche, geschlossene und starke westliche Reaktion. Die russische Invasion einte die EU, stärkte die Nato und erzeugte weltweite Solidarität – alles, was Putin nicht wollte. Sie weckte auch die Schweizer. Wie immer die Okkupation ausgehen mag: den Informationskrieg haben die Ukrainer bereits gewonnen.

Es geht um mehr als die Ukraine

Mit seiner reichen nachrichtendienstlichen Erfahrung aus den letzten 40 Jahren – vom Kalten Krieg über den Zusammenbruch der Sowjetunion bis zur Neusortierung der geopolitischen Machtstrukturen und dem Aufstieg Chinas – sowie seinen stupenden Kenntnissen beleuchtete Peter Regli die Hintergründe und Zusammenhänge des jetzigen tragischen Geschehens. Es gehe um mehr als die Eroberung der Ukraine, betonte er. Dreieinhalb Wochen vor der Invasion sicherten sich Russlands und Chinas Präsidenten, Putin und Xi Jinping, eine «Freundschaft ohne Grenzen» zu. Das Ziel beider Diktatoren sei die Ausweitung ihrer Einfluss-Sphären und die Zerstörung der liberalen, demokratischen Weltordnung, erklärte der Referent. Er belegte dies unter anderem mit einem Geheimpapier der chinesischen Kommunistischen Partei «gegen falsche ideologische Tendenzen, Auffassungen und Tätigkeiten», zum Beispiel westliche Verfassungsdemokratien, zivile Gesellschaften, universelle Werte, usw.

Man hätte gewarnt sein sollen und müsste es weiterhin sein. China, so der Referent, stelle die grösste Bedrohung für den Westen dar. Es betreibe zwar erfolgreiche Anbiederung mit Städtepartnerschaften, Studentenverbänden, Kulturaustausch, Forschungszusammenarbeit, Finanzhilfen und dem Seidenstrassen-Projekt, das nichts anderes als Neokolonialismus zu Land und auf dem Meer darstelle. Aber Jinping verfolge mit Taiwan und im Südchinesischen Meer es gleiche Absichten wie Russland mit der Ukraine. Darum beobachte er die gegenwärtigen Sanktionen des Westens genau. Die vor aller Welt zelebrierte frische Freundschaft mit dem Kriegsverbrecher Putin mache ihn momentan eher verlegen.

«Das Undenkbare denken»

Für Europa sei es ein Glück, stellte Peter Regli fest, dass in Amerika nicht mehr Donald Trump regiere, sondern Präsident Jo Biden die transatlantischen Bindungen neu festige. Neben dem ukrainischen Kriegsschauplatz machten weiterhin die Krisenherde Syrien, Afghanistan, Libyen, Yemen, Mali, usw. Sorgen. Est gelte auch den Balkan wieder im Auge zu behalten, wo Serbien auffällig Russland zuneige. Eine zunehmende Gefahr stelle auch die vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan unterstützte Ausbreitung des Islamismus dar.

Die wie selten unsichere Lage gebiete, auch das Undenkbare zu denken, sonst drohe ein «Management by Kopfanschlagen», sagte Peter Regli abschliessend. Das habe die von der Corona-Pandemie überraschte Schweiz bereits erlebt. Die nächste Erfahrung drohe im Sicherheitsbereich: «Unsere Mittel sind auf tiefsten Frieden ausgerichtet». Die schmerzvollen Erkenntnisse der Ukraine ohne Luftwaffe müsse ein Weckruf für unser Land sein, seine Lufthoheit sicherzustellen. – Eine lebhafte Diskussion rundete das eindrückliche Referat ab. Als nächsten Seniorenanlass kündigte die Präsidentin Ursula Brun Klemm den Besuch der Klinik Barmelweid am 17. August an.

 

Hans-Peter Widmer, ehem. Redaktor und FDP-Grossrat, Hausen, hanspeter.widmer@hispeed.ch

Nächster Senioren-Anlass:
Mittwoch, 17. August 2022, 16:00 Uhr, Besuch Klinik Barmelweid, Erlinsbach